„Flusstänzer“ - die römische Donauflotte
Die alten Römer haben sehr früh erkannt, dass die Donau ein natürliches Hindernis -sowohl Barriere als auch Grenze - darstellt. Der germanische Limes (Limes germanicus) endete in der Nähe von Regensburg am linken (nördlichen) Donauufer, der dem Schutz der römischen Provinzen Germania inferior und Raetia diente. Die Donau wurde somit zum „Wasser-Limes“ der östlicher gelegenen Provinzen: Noricum, Pannonien, Moesien und Skythien bis hin zum Donau-Delta. Dieser neue Donaulimes, auch Ripa Danuvii genannt, war das längste und größte Bauvorhaben aller Zeiten in Europa. Zurzeit ist man bemüht, dass die baulichen Überreste des Donaulimes in die Welterbeliste der UNESCO aufgenommen werden. Die Limesstraße war eine typische Militärstraße entlang des südlichen Donauufers, die vorwiegend unter Domitian und Trajan gebaut und schließlich unter Kaiser Caracalla fertiggestellt wurde. Zunächst wurden um die Städte herum römische Militärlager am Flussufer errichtet, später baute man befestigte und ummauerte Stützpunkte und Festungen (castra). Bis heute wurden entlang der Donau mehr als einhundert römische Siedlungen entdeckt. Hinzu kommen zahlreiche Wachtürme und Wachposten, die im Umkreis von nur 2 km gebaut wurden. Diese Wassergrenze zu unbekannten und unentdeckten Gebieten wurde im Grunde von der Kaiserlichen römischen Marine kontrolliert: eine Supermacht auf dem Wasser, die während der Herrschaft Diokletians 64.000 Mann zählte. Ein Teil davon ging in die berühmte Donauflotte (classis Histria) ein - die zum ersten Mal zwischen 20 v. Chr. und 10 n. Chr. erwähnt wird. Diese Flotte wurde in drei Teile aufgespalten: classis Germanica, classis Pannonica und classis Moesica.
Der Stützpunkt der Pannonischen Flotte (classis Pannonica) befand sich in Carnuntum (östlich vom heutigen Wien gelegen) und in Tauronum (das heutige Zemun, eine Gemeinde der heutigen serbischen Hauptstadt Belgrad) in der Nähe von Singidunum (Belgrad), wo die IV. Römische Legion stationiert war. Am stärksten bedroht war der untere Donaulauf, da man dort mehr als 1000 km schützen musste. Dieser längste Teil des Wasser-Limes wurde zunächst von zwei Legionen verteidigt, und unter Kaiser Mark Aurel wurden vier Legionen damit beauftragt.
An diesem Donau-Abschnitt wurde die Flavische Flotte in Moesien (classis Flavia Moesica) gebaut. Sie war von 20 v. Chr. bis 10 n. Chr. im Einsatz, und zwar nicht nur im Flussgebiet zwischen dem Eisernen Tor und dem Donaudelta, sondern auch entlang der nördlichen Schwarzmeerküste bis hin zur Krim (seit 41 n. Chr.). Kaiser Vespasian verlieh 75 n. Chr. den Ehrentitel Flavia auch an die pannonische Flotte, deren Stützpunkt sich ursprünglich in Novidunum (wörtlich; „neue befestigte Siedlung, heute: Isaccea, Kreis Tulcea, Dobrudscha, Rumänien) befand. 85 n. Chr. verlegte Domitian das Hauptquartier nach Sexaginta Prista, die „Stadt der sechzig Schiffe“ (heute: Russe, Bulgarien). Dieser Stützpunkt der römischen Donauflotte wurde zwischen Ende 69 n. Chr. und Anfang 70 n. Chr. von Vespasian errichtet, um 250 n. Chr. nach den gotischen Überfällen erneuert und stark befestigt und im 6. Jh. von den Awaren und anderen slawischen Stämme zerstört. Wichtige Ankerplätze dieser Flotte befanden sich auch bei Novae (heute: 4 km östlich von Swischtow, Bulgarien), Ulpia Oescus (heute: 55 km nordöstlich von Plewen, Bulgarien) und Tomi (heute: Konstanza, Rumänien).
Die wichtigste Rolle der Donauflotte - die außer dem Stützpunkt mehr als zwei Dutzend Häfen, Anlegestellen und Landungsbrücken an der Donau hatte, weshalb sie zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor wurde - war die Sicherung des Römischen Friedens (Pax Romana) durch die Überwachung der Grenzen.In logistischer Hinsicht war es für die Legionen von Belang, dass auf diese Weise Lebensmittel, Waffen und Truppen transportiert werden konnten. Wie sich bei Trajans Feldzügen gegen die Daker herausstellte, gehörte zu ihren Aufgaben auch die Unterstützung und Verstärkung der Legionen im Kriegsfall.
Die Besatzungen der classis Histria waren nicht nur diszipliniert, sondern auch ehrgeizig: Jeder Kilometer (genauer gesagt, jede römische Meile) des Flusses musste einmal am Tag kontrolliert werden. Diese Herkulesarbeit wurde bis 350 n. Chr. reibungslos bewältigt. Dies gilt auch für die Herrschaft Mark Aurels, der mehrere Male Krieg gegen die Markomannen entlang der Donau führte (seit 166 n. Chr.). Die kaiserliche Flotte überquerte die Donau auch im Norden, um Brückenköpfe und -schanzen entlang der Ufer zu sichern, Pufferzonen zu kontrollieren und die Legionen in der Provinz Dakien beider Verteidigung der neuen Limesstrecken aus Kalkstein zu unterstützen.
Rudern, rudern, rudern - die Schiffe der Römischen Flotte
Die Donauflotte bestand aus einer Vielzahl verschiedener Schiffstypen. Am häufigsten vertreten war die Liburne (navis liburna), eine kleine Galeere, die zur Überwachung sowie für Überraschungsangriffe und Überfälle verwendet wurde. Sie ähnelte der antiken griechischen Pentekontere,da sie an jeder Seite 25 Ruder, einen Mast und ein Segel hatte. Die Höchstgeschwindigkeit betrug 9 Knoten (18 km/h). Zweck des Rostrums (Schiffsschnabel) war das Entern und Versenken von Schiffen während der Schlacht. Die mit zwei Ruderbänken ausgestattete Bireme war 24 Meter lang und bis zu 3 Meter hoch. Dieser Galeerentyp erforderte 120 Ruderer. Die Trireme hatte drei Ruderbänke, sie erforderte 170 Ruderer und 30 Mann an Deck. Sie war das am meisten verbreitete Kriegsschiff im Mittelmeerraum, welches bis zu 120 km am Tag zurücklegen konnte. In der römischen Marine waren noch größere Schiffe im Einsatz: die Quadrireme und die Quinquereme sowie noch größere Flagschiffe für die Befehlshaber. Diese Schiffe waren stark bewaffnet, zur Ausstattung gehörten Ballisten (Wurfgeschütze, deren Projektile auf entfernte Ziele abgeschossen wurden) und Katapulte.
Die alten Römer (und antiken Schiffsmelder) bevorzugten ein kleines Militärschiff - die schnelle Navis lusoria („tänzerisches“ oder „spielerisches“ Schiff), das sich hervorragend zu Patrouillenfahrten, Angriffszwecken und zum Truppentransport eignete. An Bord befanden sich 30 Ruderer und ein Hilfsmast. Mit seinen Maßen von 21 x 2,8 Metern konnte es sogar die seichteren Nebenflüsse der Donau befahren. Für diese „tanzenden Königinnen“ stellten die Donauwellen kein Hindernis dar und sie waren auch als Kampfschiffe beliebt. Kaiser Theodosius verfügte über 90 lusoriae; im Jahre 412 wurden 110 davon zu Kriegszwecken eingesetzt. Studenten der Universität Regensburg (Deutschland) haben 2006 eine Lusoria nachgebaut, sie auf den Namen „Regina“ getauft und gezeigt, dass sie für die Binnenschifffahrt geeignet ist. Sie sind bis nach Budapest gefahren, mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 100 km am Tag.
Die Schiffe der römischen Flotte wurden oft mit einer Galionsfigur (parasemum) verziert. Benannt wurden sie nach Göttern (Mars), mythologischen Helden (Herkules), Grundbegriffen der Geografie und Seefahrt (Oceanus), abstrakten Schüsselbegriffen (Concordia, Pac, Vicotira) oder wichtigen Kriegsereignissen (z.B. Dacius, zum Gedenken an Trajans Erfolge bei den Dakerkriegen).
Die Donau entlang segelnd, das Reich schützend
Die Römer benutzten Pontons für den schnellen Truppentransport von Ufer zu Ufer. Zum Posttransport wurden die naves cursoriae verwendet, während die naves iuridica zur Beförderung von hochrangigen offiziellen Besuchern aus Rom dienten. Am häufigsten vertreten waren die naves agrariensis, die zum Transport von Lebensmitteln verwendet wurden, und die naves actuariae, mit 30 Ruderern bemannte Schiffe mit niedrigem Tiefgang.
Die Flotte diente natürlich auch zum Schutz von Frachtschiffen und -flößen, die auf der Donau fuhren. Diese wurden manchmal entlang der neu errichteten Treidelpfade fortbewegt. Salz und Eisen aus Noricum, Vieh, Lebensmittel, Getreide, Keramik, Gold (aus Dakien), Wein und Olivenöl aus den Balkan-Provinzen waren Handelsgüter zwischen Ost und West, sie wurden aus und nach Rom sowie von Nord nach Süd transportiert. Sirmium (heute: Sremska Mitrovica, Serbien) am Save-Ufer war nicht nur Reichs- und Provinzhauptstadt, sondern auch ein Dreh- und Angelpunkt für Handelsaktivitäten aus aller Welt.
Die Besatzungen der kaiserlichen Schiffe gaben ihren Sold in den zivilen Stadtteilen der Flottenstützpunkte aus, in den Cabanae (benannt nach den einfachen Soldatenkneipen und -bordellen). Auf diese Weise trugen sie zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage bei. Nach Beendigung ihres Militärdienstes siedelten sie sich entlang der Donau an.
Schifffahrt und Völkerwanderung - das Ende der Seemacht
Am unteren Donaulauf gab es zwar mehrere Holzbrücken, jedoch nur zwei Steinbrücken: die Trajansbrücke und die Konstantinbrücke. Beide wurden nach ihrer Eröffnung bald wieder zerstört, da man Invasionen aus dem Norden und Nordwesten fürchtete. Der spätantike Geschichtsschreiber Jordanes bezeichnete in seinem Hauptwerk Getica (551 n. Chr.), einer Frühgeschichte der Goten, das schwer zu verteidigende Flachland in Pannonien als „vagina gentium“ („Mutterleib sämtlicher Völker“).
Am Anfang wurden römische Schiffe um 256 n. Chr. zwei Mal bei gemeinsamen Angriffen germanischer Stämme und der Goten besiegt. Eine Schlacht spielte sich an der Donau ab. Die Germanen und Goten bauten daraufhin ihre eigene Flotten, plünderten die Städte im Osten bis Athen und griffen die Donauflotte an. Der nächste Schock erfolgte zwischen 267 und 270, als eine noch größere Invasion stattfand. Der „Historia Augusta“ zufolge landeten Ende 268 und Anfang 269 mehr als 2000 Schiffe mit 325.000 Mann an der thrakischen Schwarzmeerküste und eroberten die römischen Balkan-Provinzen. Erst Kaiser Claudius II. vermochte es, die erste große Abwanderung zu verhindern, nachdem er in der Schlacht bei Naissus (heute: Niš, Serbien) die Eindringlinge besiegte.
Eine der Folgen war der endgültige Untergang der Provinz Dakien im Jahre 271. Zudem wurden sämtliche befestigten Stellungen entlang der Donau zusehends kleiner. Die ummauerten Stadtgebiete hatten immer weniger Einwohner. In manchen Fällen wurden die Städte auf Amphitheater reduziert, diese wiederum wurden zu befestigten Burgen umfunktioniert, als letzte Bastion der römischen Verteidiger.
Die Classis Moesica war bis Anfang des 5. Jh. n. Chr. im Einsatz, als die Flotte in die Byzantinische Marine von Konstantinopel eingegliedert wurde. In Weströmischen Reich, das 476 n. Chr. unterging, gab es keine aktive Kriegsflotte mehr. Erst im 19. Jh. wurde eine annähernd ähnliche Flotte gebaut - die österreichisch-ungarische Donaudampfschifffahrtsgesellschaft. Die „tänzerischen Schiffe“ konnte man erstmals wieder im 20. Jh. auf der Donau sehen, jedoch werden heute auf diesen Schiffen Touristen befördert.